Im Norden das Glockenland

Eher bei­läu­fig bin ich kürz­lich auf Micha­el Göring gesto­ßen: ich such­te im Inter­net nach einer alten Foto­gra­fie der Haupt­stra­ße in Lipp­stadt, einer 1185 plan­ge­grün­de­ten west­fä­li­schen Klein­stadt, nach dem Haus Lan­ge Stra­ße 58. Dort hat­te ich unterm Dach seit 1947 mei­ne ers­ten vier Lebens­jah­re ver­bracht: in einer gemein­sa­men Woh­nung mit einer aus dem Säch­sisch-Anhal­ti­ni­schen über­sie­del­ten Fami­lie eines Finanz­be­am­ten, hin­term lin­ken Fens­ter.

Der Fami­li­en­le­gen­de nach über­leb­te ich die ers­ten Jah­re auch wegen eines gro­ßen Sacks Tro­cken­ge­mü­se, der von einem ame­ri­ka­ni­schen Mil­tär­las­ter gefal­len sei. Mein Vater habe den her­ren­lo­sen eines Abends auf­ge­le­sen, also orga­ni­siert, das beherrsch­te er. Und mei­ne Mut­ter, vor ihrer Hei­rat 1946 auf einem Guts­hof im heu­te auch lipp­städ­ti­schen Wes­tern­kot­ten, in Sicht­wei­te von mei­nes Vaters Eltern­haus Küchen­magd, wuß­te, was damit zu tun war; zwi­schen­durch war sie eini­ge Jah­re in Stel­lung gewe­sen bei Indus­tri­el­len­fa­mi­li­en im süd­li­chen Rhein-Ruhr­ge­biet, in Hagen und Vier­sen.

Der Blick aus dem Gie­bel­fens­ter auf das Obst- und Gemü­se­ge­schäft gegen­über, nach der Wäh­rungs­re­form 1948 auch mit Süd­früch­ten in der Aus­la­ge, er ist mir heu­te noch sehr gegen­wär­tig: eine mei­ner frü­hes­ten, nicht durch Fotos ver­mit­tel­ten bild­li­chen Lebens­er­in­ne­run­gen. Bis in die sech­zi­ger Jah­re ver­sorg­te sich die Fami­lie aus einem Gemü­se- und einem gro­ßen Obst­gar­ten, bei­de vom Vater orga­ni­siert und erschöp­fend neben dem Schul­dienst besorgt, von der Mut­ter auf­op­fernd bevor­ra­tend ver­ar­bei­tet — mit ihrer bei­der Hän­de Arbeit (John Ber­ger) in bäu­er­li­cher Tra­di­ti­on, sor­gend Tag für Tag. Die Kar­tof­feln für den Win­ter kamen im Herbst von Ver­wand­ten nahe der Ems per Pfer­de­fuhr­werk aus Mast­hol­te, eben­so wie die Ladung Pfer­de­mist im Früh­jahr für die bei­den Gär­ten; beson­ders für die Erd­bee­ren und den Rha­bar­ber wich­tig. So gelang­ten spä­ter im Novem­ber auch die frisch geschlachtete(n) Schweinehälfte(n) zur Wei­ter­ver­ar­bei­tung in Wasch­kel­ler und ‑zuber des neu­en Rei­hen­hau­ses, wozu immer Tan­te Lina aus dem eben­falls heu­te lipp­städ­ti­schen Lip­pero­de kam. Den Win­ter über gab es dann nicht nur Möp­ken­brot. | Wei­ter­le­sen

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