Universität Hamburg. Vorlesung. 1990
I.
“… aber die Macht des Feindes ist groß! — Wer mag der Stärke seiner Waffen,
wer mag seiner Wachsamkeit vertrauen, wenn die unterirdischen Mächte lauern?“
E.T.A. Hoffmann “Die Elixiere des Teufels” (1815)
Am Ende der Vorrunde der laufenden Meisterschaft der Fußball-Bundesliga geschah in Mönchen-Gladbach Unerhörtes: Zum ersten Mal seit der Gründung der Bundesliga vor fast 25 Jahren warf der Vorstand der Borussia überhaupt einen Trainer raus. Manager Helmut Grashoff begründete die Entlassung von Wolf Werner vor der Presse: “Die menschliche Demontage von Werner tut mir wahnsinnig leid, aber seine Psyche war eine Belastung für die Elf.” Gleichzeitig wurde Werner selbst von seinen Kritikern gelobt: “Ein kluger Kopf, ehrgeizig, fleißig, untadelig in seiner Arbeitsauffassung.” Werner trug es mannhaft: “Ich könnte verstehen, wenn sich die Borussia gegen mich entscheidet, aber man soll nicht von mir verlangen, daß ich mich aus der Verantwortung stehle.” (Waldbröl 1989) Wer hatte das von ihm verlangt?
Mannhaft? Allerdings, und zugleich auch eine äußerst militarisierte Form von Männlichkeit. Die überraschende Auflösung liefert Hemingway, ein Idol männlicher Selbstdarstellung. In der Einleitung zu einer 1942 von ihm herausgegebenen, mehr als tausendseitigen Anthologie von Kriegsgeschichten, die zeigen soll, “wie alle Männer seit dem Anbeginn aller bekannten Zeiten gekämpft haben und gestorben sind” (XI) — er schreibt tatsächlich: “alle Männer” -, erzählt Hemingway eine Episode aus dem spanischen Bürgerkrieg: Ein als guter Offizier beschriebener französischer Panzerkommandant auf republikanischer Seite hatte sich aus Angst vor der Zerstörungskraft deutscher Panzerabwehrkanonen vor einem Einsatz so betrunken, daß er nicht mehr handlungsfähig war. Er wurde erschossen, und das war für “jedermann eine Erleichterung”, schreibt Hemingway wörtlich, weil die Angst des Offiziers “gefährlich, widerlich und peinlich” (XIX) war.
II.
Nun können solche zufälligen Beobachtungen ja tatsächlich zufällig sein. Oder anders ausgedrückt: Daß ich beim Lesen des Berichts in der Frankfurter Allgemeinen über die Ablösung des Trainers Werner diese und keine andere und überhaupt eine Verbindung knüpfte zu dem Bericht Hemingways, ist nicht selbstverständlich. Selbstverständlich wäre eher, daß mir das Selbstbild des Trainers Werner wie selbstverständlich einleuchten würde: Wenn ein Mann in der Zusammenarbeit mit anderen Männern — und auch sonst — keinen Erfolg hat, dann hat er zu seinem Mißerfolg mit seiner ganzen Existenz zu stehen. Auch wenn er ein guter Mann ist und es manchem und vielleicht auch mancher um den guten Mann “wahnsinnig leid tut”. Männer flennen nicht — das wäre “widerlich”. Unsoldatisch. Unmännlich.
Die Voraussetzung für meine Verknüpfung der Beobachtungen war, daß ich mich seit längerem mit der Frage beschäftige, welche Bedeutung Geschlechterverhältnisse und besonders Männerbilder für das Andauern unfriedlicher gesellschaftlicher Verhältnisse in dieser Welt haben. Anlaß hierfür war zum einen die eigene, erst viel später unter diesem Gesichtspunkt geprüfte Erfahrung und Konfrontation mit militarisierter Männlichkeit bei der Bundeswehr noch in den sechziger Jahren; zum anderen die spätere Auseinandersetzung mit Fragen atomarer Rüstung, mit der menschlichen Fähigkeit, aller Einsicht in die unausweichlichen Folgen des Handelns zum Trotz die eigene Zerstörung ins Werk zu setzen.
Es ist hier nicht der Ort, diese und andere Anstöße, etwa aus meiner gegenwärtigen Tätigkeit, weiter zu diskutieren; wichtig ist der Schluß aus ihnen: Die offensichtliche Notwendigkeit, sich mit der individuellen Seite von Rüstung und Krieg, mit der subjektiven Verarbeitung gewaltförmig ausgetragener, destruktiver gesellschaftlicher Verhältnisse auseinanderzusetzen, wenn — heute unser Thema — Schritte auf dem Weg zu Abrüstung und Frieden erfolgreich getan werden sollen; vor allem aber die Notwendigkeit, sich auf eine Blickrichtung einzulassen, die diese Zusammenhänge sichtbar werden läßt.
Der Zeichen setzende Friedensdienst eines Einzelnen oder selbst von 150 jungen Frauen und Männern, für dessen Organisation ich zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen bei der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste verantwortlich bin, wäre Realitätsflucht, wenn nicht zugleich die andere Frage gestellt wird: Wie kann gesellschaftliche Macht, können gesellschaftliche Verhältnisse so politisch organisiert werden, daß eine Absage an Logik, Geist und Praxis (nicht nur) militärischer Abschreckungspolitik möglich wird. Anders ausgedrückt: Wie verarbeiten Individuen die konkrete, destruktive Widersprüchlichkeit der aktuellen, aber auch schon früherer Formen militärischer Sicherheitspolitik? Welche Bilder von sich und anderen hindern sie, Widerstand zu leisten — oder bringen sie dazu, diese Politik mitzutragen und zu unterstützen?
Eine, auch für den Zusammenhang von Krieg und Frieden wichtige Form der Vermittlung zwischen Gesellschaft und Individuum ist die Verarbeitung auch von Politik auf der Ebene der Geschlechterverhältnisse, ihre Wahrnehmung mit Hilfe von Frauen- und Männerbildern. Den Vorgang beschreibt die Kulturwissenschaftlerin Irene Dölling: Die gesellschaftlichen Grundverhältnisse und die aus ihnen erwachsenen sozialen Gegensätze und Unterschiede werden in solche zwischen den Geschlechtern verwandelt.
Ich zitiere:“Dies geschieht auf verschiedenen Ebenen — zum Beispiel als geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der gesellschaftlichen Produktion und bei den ‘privaten’ Tätigkeiten zur individuellen Reproduktion (insbesondere in der Familie), als gesellschaftliche Bewertung der dominant von Männern beziehungsweise Frauen ausgeübten Tätigkeiten, als Zuweisung von menschlichen Eigenschaften zu dem einen oder anderen Geschlecht (‘männlicher’ beziehungsweise ‘weiblicher’ Sozialcharakter […] und ähnliches), als Transformation sozialer Hierarchien in Geschlechterhierarchien (Dominanz des Mannes, Abwertung der Frau).” (1988, 564)
Historisch haben sich als eine Bewegungs- und Entwicklungsform der Gesellschaftsverhältnisse Geschlechterverhältnisse herausgebildet, die einstweilen als patriarchalisch beschrieben werden sollen: Verhältnisse, in denen die Dominanz des Mannes, in denen die zweitrangige, benachteiligte Stellung der Frau immer aufs Neue als naturgegeben sanktioniert und gefestigt wird. Die direkten Geschlechtsverhältnisse zwischen Mann und Frau “geben auch den sozialen Gegensätzen und Unterschieden, wie sie transformiert in Geschlechterverhältnissen erscheinen, den Charakter einer Naturgegebenheit (zum Beispiel, indem eine bestimmte Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern als natürliche Folge biologischer Funktionsteilung bei der Reproduktion der Gattung erscheint).”(Dölling 1988, 565)
Wichtig und ein besonderes Problem ist dabei, daß die Geschlechterverhältnisse im Gegensatz zu anderen Gesellschaftsverhältnissen in der allgemeinen Wahrnehmung ihre eine Grundlage klar und eindeutig in einem biologischen Unterschied, besser: in biologischen Differenzen haben. Deshalb können mit ihnen verknüpfte soziale Gegensätze und Unterschiede umso leichter als natürliche wahrgenommen werden — und dies geschieht tagtäglich. (vgl. Connell, 5–6)
Ein, wenn nicht der gesellschaftliche Bereich, in dem diese Dominanz des Mannes wie selbstverständlich als “natürlich” erscheint und gewissermaßen auf eine Geschichte bis zum Anbeginn aller Geschichte zurückgreifen kann, ist das Militär. Dies spiegelt sich auch in den vorherrschenden Männerbildern und den ihnen entsprechenden Frauenbildern. Keine andere politische Institution ist so vermännlicht, wie das Militär. Keine andere politische Institution hat zugleich so die Lebensverhältnisse der Menschen beeinflußt, wie das Militär. Militär und Militarismus gerinnen deshalb leicht zum “Inbegriff des Patriarchats” (Albrecht-Heide). Oder, wie Betty Reardon schreibt: “Das Militär ist die gebrannte Verkörperung des Patriarchats; die Militarisierung der Gesellschaft ist die ungehemmte Manifestation des Patriarchats als offenkundige und ausdrückliche Herrschaftsweise.”(1985, 15)
Heute geht es um einen Aspekt dieses Zusammenhangs: um “Militarisierte Männlichkeit”. Vieles bleibt notwendig ausgeklammert, insbesondre die Zeit des Nazismus; auch die Zusammenhänge mit dem Rassismus, der anderen wichtigen, naturalisierenden Bewegungs- und Entwicklungsform gesellschaftlicher Verhältnisse. Vieles ist überhaupt erst noch zu erforschen. Nun aber zur militarisierten Männlichkeit.
III.
“Alle, die endlich zur Hölle mitfahren, müssen Männer mit Bärten sein.“
Aus dem Liederbuch meines Sohnes
Meine Rede von einer militarisierten Männlichkeit hat bereits deutlich gemacht, daß ich zwischen verschiedenen Formen von Männlichkeit unterscheide und Versuche für wenig hilfreich halte, Männer, Männlichkeit und Militär in eins zu setzen. Männlichkeit als Ausdruck eines bestimmten Selbst- und Fremdbildes, welches vornehmlich Männer entwickeln, und von Selbst- und Fremdzwängen, denen sie unterliegen und denen sie sich unterwerfen, ist nicht biologisch gegeben. Für eine solche Annahme gibt es keine überzeugenden Grundlagen. “Männlichkeit wird in den männlichen Körper eingepflanzt, wächst nicht aus ihm heraus.” (Connell 1985, 5) Sie ist das Ergebnis eines kulturellen Prozesses, und ihre Formen sind unterschiedlich, und in aller Regel herrschen zu gegebenen Zeiten bestimmte Formen in einer Gesellschaft vor, während andere Formen an den Rand gedrückt werden (vgl. Connell 1985, 1987).
Hierzulande werden die Geschlechterverhältnisse gegenwärtig durch eine Form von Männlichkeit beherrscht, die in hohem Maß durch Aggressivität und Gewaltbereitschaft gekennzeichnet, in vielfältiger Weise auch mittelbar und unmittelbar militarisiert ist. Ihr Urbild ist der im Kampf Mann gegen Mann zu vernichtende Gegner, ihre Grundlage ist die immer erneute Versicherung der sozialen Unterordnung der Frauen — und in ihrem Hintergrund lauert die grundsätzliche Bereitschaft zu persönlicher Gewalt, um dieses Verhältnis so zu bewahren, wie es ist — und diese Form von Männlichkeit ist aggressiv heterosexuell.
Die letzte Beobachtung ist deshalb bedeutsam, weil sie am Beispiel der Verhältnisse zwischen Männern für die Erfahrung steht, daß Gewalt dieser Form von Männlichkeit sehr eigen ist und sie von anderen, gegenwärtig nicht vorherrschenden Formen von Männlichkeit unterscheidet. Dabei ist nicht entscheidend, daß jeder einzelne Mann, daß die wirklich lebenden Männer alle diese Formen von Gewalt tatsächlich ausüben: Diese Männlichkeit wird heute in einem hohen Maße symbolisch ausgelebt, von Tarzan bis zu Rambo — und besonders auch in der Form “psychosozialer Arrangements” (Mentzos), die sich an Institutionen anlagern und dort ihre rationalisierte Verkehrung in Normalität erfahren.
“Es ist sehr wichtig”, schreibt Bob Connell, einer der wenigen Soziologen, die sich mit dem Thema befaßt haben, “daß ein großer Teil der gegenwärtigen Gewalt nicht isoliert und individuell ausgeübt wird, sondern institutionelle Gewalt ist. Homosexuelle werden von Polizisten zusammengeschlagen; ein großer Teil der Vergewaltigungen weltweit werden durch Soldaten begangen. Diese Aktivitäten entspringen leicht der legitimen Gewalt, für die Polizeikräfte und Armeen aufgebaut wurden. Der Staat ist ein Instrument zur Ausübung von Zwang, und dies bleibt wahr, was auch immer sonst sich ändert. Er nutzt die große Entdeckung der modernen Geschichte, die rationelle bürokratische Organisation, um politische Entscheidungen zu zentralisieren und sie möglichst unverändert nach unten durchzusetzen. Dies vorausgesetzt, kann der Staat zu einem Instrument kalkulierter Gewalt auf der Grundlage und unter Nutzung der vorherrschenden Form von Männlichkeit werden. Die Streitkräfte sind eine Art Hybrid zwischen Bürokratie und Männlichkeit.” (Connell 1985, 9) Nun wäre es ein Fehlschluß, ohne weitere Differenzierung von nur einer Form militärisch nützlicher Männlichkeit zu sprechen, vielleicht gar im Bild des gewalttätigen Mannes verhaftet zu bleiben — und dieses als Inbegriff militarisierter Männlichkeit zu sehen.
Connell unterscheidet vier Formen militarisierter Männlichkeit, die sich teilweise auch bei anderen Autoren und Autorinnen beschrieben finden: Zum einen den physisch gewalttätigen, aber befehlsabhängigen Mann; zum anderen den dominierenden, organisatorisch kompetenten, nicht notwendig selbst gewalttätigen Mann. Das Zusammenspiel beider Formen von Männlichkeit, das diese Männer verkörpern, ist die Grundlage der militärischen Organisation. Weiter die vielen unterstützend tätigen Soldaten, deren Aufgabe im Rahmen der militärischen Arbeitsteilung gerade darin besteht, nicht als Rambo durch die Gegend zu ziehen, sondern zuverlässig etwa den Nachschub zu organisieren. Und schließlich den technischen Spezialisten, ausgerüstet mit kalkulierender Rationalität, der direkte militärische Gewalt nur aus dem Kino kennt. Erst im institutionellen Arrangement der militärischen Organisation werden die verschiedenen Formen militärisch nutzbarer Männlichkeit in einer für das Militär tauglichen Form zusammengebracht. (Aber dieses ist keine grundsätzlich neue Entwicklung, denkt man etwa an das militärische Erfordernis früherer, noch nicht industrialisierter Streitkräfte, einzelne Soldaten zu einem Körper, zu einer Streitmacht zusammenzufügen, um sie militärisch nutzbar zu machen.)
Wird nun berücksichtigt, daß das heutige Verhältnis zwischen Militär und Männlichkeit (1) das Ergebnis eines jahrhundertelangen kulturellen Prozesses ist, daß (2) dabei Ungleichzeitigkeiten und regionale Besonderheiten eine große Rolle spielen, daß aber (3) zunehmend regionale Unterschiede durch Internationalisierung verwischt werden — Cynthia Enloe berichtet von Rambo-Videos verschlingenden Guerillas auf den Philippinen (1988) — und daß (4) der Kampf Mann gegen Mann für das Militär immer unbedeutender wird, dann liegt ein Schluß nahe: Die Zeiten, wo ein deutlich ausgeprägtes Bild einer individualisierten militarisierten Männlichkeit wie das des “soldatischen Mannes” (Amberger) Kontur gewinnen konnte, scheinen vorbei zu sein. Aber das zu entscheiden, dazu müßten mehr empirische Untersuchungen vorliegen und nicht nur einzelne Beobachtungen, die unterschiedliche Schlüsse rechtfertigen.
Militarisierte Männlichkeit — das ist heute wohl keine einheitliche, unveränderliche Form von Männlichkeit, sondern ein widersprüchliches, im Zeitlauf und abhängig von den Gesellschaftsverhältnissen veränderliches Ensemble von Männlichkeiten, von Männlichkeitsfragmenten, die erst im institutionellen Arrangement der Militärorganisation zur Wirkung kommen. Die hierzulande vorherrschende, hegemonial alle Verhältnisse durchdringende übliche Form der Männlichkeit ist bereits außerhalb des Militärs vielfältig militarisiert, aktuell und aus früheren Zeiten, über Generationen vermittelt; allerdings nicht in der Weise, daß sich eine geschlossene Form ergeben würde, etwa der “soldatische Mann”, sondern äußerst fragmentiert. Im Militär wie in der Gesellschaft sonst wird genutzt, was brauchbar ist. Der Rest ist auf symbolische Verwirklichung verwiesen, und die Kulturindustrie bietet hierfür vielfältige Angebote. Wie der einzelne Mann damit klar kommt, was dies für seine Vorstellung von Männlichkeit und sein Verhalten als Mann bedeutet, ist eine weitgehend ungeklärte Frage.
Wenn die These von Irene Dölling zutrifft, daß unter anderem “an den ‘privaten’ Konflikten und der Art, wie sie von den Individuen ausgetragen und gelöst werden”, sinnfällig wird, “wieweit die Menschen die gesellschaftlichen Verhältnisse als die Bedingungen ihres Lebensprozesses beherrschen” (1980, 59), dann stützen Soziologie und Psychologie, soweit sie sich mit dem alltäglichen Leben und Erleben der Soldaten beschäftigen, die Vermutung: “Militarisierte Männlichkeit” als (brüchige) Form der Selbst- und Fremdwahrnehmung und des Selbst- und Fremdzwanges hat diesen Männern (und ihnen gleichtuenden Frauen) selbst nie eine Chance geboten, die Bedingungen ihres Lebensprozesses zu beherrschen. Aber sie stellte Männer- und Frauenbilder bereit, die der Illusion hierüber Kraft gaben und Menschen für eine Politik tauglich machten, für die der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln war und ist.
Der Rückgriff auf militärische Gewalt ist durch verschiedene Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten problematisch geworden. Die notwendige Zuordnung von militärischer Gewalt und politischen Zielen (Krieg als Fortsetzung der Politik — und nicht ihr Ende) wird schwieriger. Wenn aber Krieg als Mittel der Politik obsolet wird, dann werden sich auch die Selbst- und Fremdbilder der Männer verändern, die so stark mit dem Militär verknüpft sind. Nur — was über Generationen mit solcher Macht Männer- und Frauenbilder geprägt hat, vergeht nicht über Nacht. Aber wie natürlich auch die Bilder scheinen mögen, aus denen sich das überkommene Stereotyp einer militarisierten Männlichkeit zusammensetzt: “Im praktischen Lebensprozeß wird das Nicht-mehr-Funktionieren, wird die Brüchigkeit überkommener Formen menschlicher Beziehungen im Aufeinanderprallen von neuen Anforderungen und Ansprüchen einerseits und von Verhaltensmustern, die durch ihre lange geschichtliche Existenz den Anschein von Naturqualitäten erwecken, andererseits (…) konkret erfahren.” (Dölling 1980, 58)
Ich wage nicht zu sagen, welche Männerbilder im praktischen Lebensprozeß an die Stelle von “militarisierter Männlichkeit” treten und ob sie “friedlicher” sein werden; ich bin nur sicher, daß die Entwicklungen, die Krieg als Mittel der Politik — zumindest aus der bisher eingenommenen mitteleuropäischen Perspektive zu Beginn der neunziger Jahre — obsolet zu machen scheinen, die Männerbilder hierzulande nicht unbeeinflußt lassen werden.
Wird die borniert mitteleuropäische Sichtweise allerdings verlassen, gerät die globale Entwicklung in den Blick, dann scheint die Melange zwischen Männerbild und (militärischer) Gewalt noch längst nicht so brüchig. Hemingway hatte 1942 die Form einer rational militarisierten Männlichkeit bereits im Blick, als er die Siege der Deutschen nicht der Tatsache zuschrieb, daß sie Supermänner seien, sondern einfach ihrer Fähigkeit, praktisch und professionell auf dem Stand der entwickelten Waffentechnik zu handeln. Und er empfahl, diese Haltung zu lernen (XIII). Sie vertrug sich auch mit seiner Vorstellung, nach dem gewonnenen Krieg alle Nazis zu sterilisieren, denn nur so könne “ein Frieden erreicht werden, der mehr ist als eine Atempause zwischen Kriegen” (XXIV).
Interessant sind hier weniger die konkreten Vorstellungen Hemingways, interessant ist die angedeutete Möglichkeit, daß eine militarisierte Männlichkeit sich aus unterschiedlichen Elementen neu zusammensetzen kann und nicht notwendig in Konflikt mit militärischer Professionalität gerät, wenn sie weiter am männlichen Urbild des auch um den Preis der Selbstzerstörung im Kampf zu vernichtenden Gegners festhält. Was sich ändert, sind die Formen der Vernichtung bis hin zu bloß noch abstrakt wahrgenommenen Zweikämpfen zwischen Raketen auf Computerbildschirmen. Eine Vorstellung, die angesichts der sich verschärfenden globalen Konfliktformationen und der Rolle militärischer und polizeilicher Gewalt in den kommenden Auseinandersetzungen eine bedrängende Perspektive öffnet.
IV.
Zum Schluß möchte ich, in zugegeben ironischer Absicht, ein Gedicht vortragen — zum aktuellen Stand der Erkenntnis in diesen Wendezeiten. Ich fand es in der BZ vom 16.11.1989, der (ost-)Berliner Zeitung. Das Gedicht ist von Heinz Kahlau, einem bekannten Lyriker in der DDR, wo Gedichte (noch) Politik machen:
Stand meiner Erkenntnis
Wenigstens seit dem Ende der letzten Eiszeit / hat sich das männliche Prinzip, / gegenüber allen übrigen Prinzipien / des Zusammenlebens von Menschen, / als das siegreiche Prinzip / durchgesetzt und hat seinen Höhepunkt / in der Geldwert-Gesellschaft / überschritten.
Noch gilt der Menschheit: / Wer siegt hat Recht und bestimmt / was die Wahrheit ist. / Als ein Naturgesetz. / Reichtum und Macht und Gewalt / stellen den Sieger / über den Tod. / Bis der ihn auslöscht.
Doch nun / kann der Sieger nicht mehr / durch den Krieg ermittelt werden. / Doch nun / widersteht die Natur / unserer Ausbeutung nicht mehr / und erliegt.
Von nun an / bestimmt das Bewußtsein / das Sein. / jeder Rettungsversuch muß / ohne das männliche Prinzip / unternommen werden. / Denn es hat uns / an diesen Abgrund geführt.
Selbst der Sozialismus scheiterte bisher, / weil er sich nicht von diesem Prinzip / losgesagt hat. / Volksherrschaft / ist der einzige Weg / in das menschliche Prinzip / der Demokratie.
11.November 1989
Volksherrschaft also ist die Tagesparole des Neuen — Mauern sprengenden — Denkens: die Aufhebung der Herrschaft des Menschen über den Menschen durch die Herrschaft des Volkes, wenn der Sieger nicht mehr durch den Krieg ermittelt werden kann. Doch was ist das, Volksherrschaft — als das ganz Andere zum “männlichen Prinzip”? In Bertolt Brechts Me-ti gibt es eine Definition: “Volksherrschaft bedeutet die Herrschaft der Argumente” — und Kahlau dürfte doch wohl seinen Brecht kennen. Nur: Brecht und Argumente und Geschlechterverhältnisse, das ist mehr als ein Vortrag von einer guten halben Stunde.
Wenn einmal militarisierte Männlichkeit und die mit ihr verbundenen Männer- und Frauenbilder ihre Macht verloren haben, steht immer noch die tieferliegende Frage nach der Rolle der Gewalt in den Geschlechterverhältnissen und in der Gesellschaft überhaupt, nach dem gesellschaftlichen Grundverhältnis von Herrschaft und Unterordnung an, ehe tatsächlich Gerechtigkeit und Frieden unser Leben bestimmen werden und Argumente herrschen — ohne aufs Neue Herrschaftsverhältnisse zu begründen. Das war nicht mein Thema heute, aber ich hoffe, die Bedeutung der Geschlechterverhältnisse auch für ein rechtes Verständnis von Krieg und Frieden einsichtig gemacht und vielleicht dazu angeregt zu haben, sich dem Rüstungs-Thema auch einmal unter dieser Perspektive zu nähern.
Literaturverzeichnis
Albrecht-Heide, Astrid, 1988: Militarismus — Inbegriff des Patriarchats. In: Die Grünen im Bundestag (Hrsg.): Weder Waffenrock noch Schwesternkleid. Gegen weitere Militarisierung von Frauen und Allgemeine Dienstpflicht. Bonn, S.139–142
Amberger, Waltraut, 1987: Männer, Krieger, Abenteurer. Der Entwurf des “soldatischen Mannes” in Kriegsromanen über den Ersten und Zweiten Weltkrieg. Frankfurt a.M. (2. überarb. Aufl.)
Brecht, Bertolt, 1967: Gesammelte Werke. Bd.12. Frankfurt a.M.
Connell, Bob, 1985: Masculinity, violence and war. In: Patton, P.; Poole, R. (Hrsg.): War/Masculinity. Sydney, S.4–10
Ders., 1987: Gender and power. Society, the person and sexual politics. Cambridge
Dölling, Irene, 1980: Zur kulturtheoretischen Analyse von Geschlechterbeziehungen. In: Weimarer Beiträge, 26(1), S.59–88
Dies., 1988: Frauen- und Männerbilder als Gegenstand kulturtheoretischer Forschung. In: Weimarer Beiträge, 34(4), S.556–579
Enloe, Cynthia, 1987: Feminist thinking about war, militarism and peace. In: Hess, B.B.; Ferree, M.M. (Hrsg.): Analyzing gender. A handbook of social science research. Newbury Park u.a., S.526–547
Dies., 1988: Beyond ‘Rambo’: Women and the varieties of militarized masculinity. In: Isaksson, E. (Hrsg.): Women and the military system. New York u.a, S.71–93
Hemingway, Ernest (Hrsg.), 1942: Men at war. The best war stories of all time. New York
Hoffmann, E.T.A., 1815: Die Elixiere des Teufels. Berlin/Weimar 1976 (= Gesammelte Werke in Einzelausgaben, Bd.2)
Kahlau, Heinz, 1989: Stand meiner Erkenntnis. In: Berliner Zeitung, 16.11., S.7
Mentzos, Stavros, 1988: Interpersonale und institutionalisierte Abwehr. Frankfurt a.M.
Rodejohann, Jo, 1986: Über die Notwendigkeit einer anderen Sicherheitspolitik. Zum Beispiel Sicherheitspartnerschaft. In: Tatz, J. (Hrsg.): Ist der Frieden noch zu retten? Die Abschreckung und ihre Alternativen. Frankfurt a.M., S.150–161
Schöntges, Jürgen, 1987: Freche Lieder — Liebe Lieder. Frankfurt a.M. u.a.
Waldbröl, Hans-Joachim, 1989: Gegen die Erfolglosigkeit hat Werner kein Argument. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.11., S.31
Auf Einladung am 08.01.1990 im Rahmen der Interdisziplinären Einführungsvorlesung “Abrüstung, Rüstungskontrolle und internationale Sicherheit” an der Universität Hamburg. Nach dem schriftlichen Manuskript.